Eine kleine Schachgeschichte
von Manfred Heinz Rogalski (Schachverein Oberursel/Ts.), 23.10.2011
Es war einmal ein König, der hatte 64 Felder. Er regierte einsam aber absolut. Als eines Tages ein schwarzer König direkt gegenüber erschien. „He, was willst du“, rief er. „Das sind meine Felder und ich möchte sie nicht teilen. Dabei ging er einen Schritt nach vorn, denn mehr als einen Schritt wird ein majestätischer König nicht gehen, egal in welche Richtung.
Da gesellte sich eine Dame zu ihm und fragte: „Hast du Sorgen, mein Schatz? Ich kann in alle Richtungen laufen, so weit dein Königreich reicht und sie dir vertreiben“. Da trat der König wieder einen Schritt zurück und schien für` s Erste beruhigt. Gerade da trat eine schwarze Lady unvermittelt auf den Plan, direkt seiner Holden gegenüber und wollte diese sogleich behelligen.
„Wir brauchen Wächter, die uns schützen“, sagte der König, „so hoch und so fest wie Türme, die auf gerader Linie voranstürmen können und nie auf schräge Gedanken kommen. Aber auch der schwarze König rüstete sich mit solchen Türmen, so dass jetzt in jeder Ecke der 64 Felder ein Turm stand.
„Wir müssen ihnen in die Quere kommen“, meinte darauf die Dame, und so postierten sie links und rechts neben den Königlichen zwei schräge Vögel, die man Läufer nannte, weil sie weiter laufen konnten als die Türme, wenn auch nur schief und diagonal. Müßig zu erwähnen, das auch der schwarze König solche Helfer bestellte.
„Wenn ich denn ausreiten will, gegen die schwarzen zu Felde zu ziehen, so brauche ich Pferde, die wild umherspringen können und deshalb auch Springer genannt werden. Sie mögen zwei Felder voran und dann eins zur Seite springen, um den Feind zu verwirren“. Und so taten es die Springer, allerdings auch jene, die der Mohrenkönig sein eigen nannte.
„Oh mein Gemahl, sind nicht alle unsre edlen Gefährten ein wenig zu schade, um sich gleich in Gefahr zu begeben?“, fragte die Dame angesichts der drohenden Reihen der schwarzen Gegenspieler. „Du hast Recht“, sprach der König. „Lass jedem einen Bauern vorangehen, der je nach Laune anfangs einen oder zwei Schritte ausschreiten mag, um das Reich zu schützen und jedem, der sich zu nahe heranwagt, in die Seite zu knuffen, auf dass er sein Ansinnen vergesse“.
So schickten beide Seiten ihre Bauern vor und begannen das edle Spiel, das man Schach nennt, da es ein Geschacher ist um 64 Felder und nicht eher endet, ehe denn einer der Könige ermattet darniederliegt. Sollten sie aber all ihrer Getreuen verlustig gehen, so dürfen die wiederum einsamen Könige sich unentschiedlich friedlich die Felder teilen. Auch bei dreifachen langweiligen Wiederholungen und offensichtlich gleicher Stärke mögen sie sich gütlich einigen.
Wenn aber ein König niemanden mehr hat. der für ihn gehen kann und ihm kein Ausweg bleibt, dem Geschacher des anderen auszuweichen, so darf er diesem eine Nase drehen und sagen: „So, jetzt bist du aber p(l)att!“
Copyright Manfred Heinz Rogalski (Schachverein Oberursel/Ts.)