Nur im Himmel leben die Flugzeuge auf... (aus einem russischen Lied)

von Boris Margolin, 30.09.2007

Als ich mich nach einer beachtlichen Pause von 3-4 Jahren wieder für eine Deutsche Meisterschaft qualifiziert habe, waren die Vorbereitungspläne geschmiedet. Komm, Boris, komm, wiederhol’ doch diese und besonders jene Eröffnung… bereite dich auf die teilweise bekannte Konkurrenz konkret vor… dieses Jahr oder nie!
Was ist bloß aus diesen Plänen geworden…
Die Vorbereitung schrumpfte auf 40 Minuten Taktiktraining im Flugzeug, am Abend bevor es losging. Zu meiner Schande muss ich gestehen (die Kinder überlesen bitte das Ende dieses Satzes), dass gerade diese für jeden Spieler überaus nützliche Trainingsmethode von mir in den letzten 10 Jahren völlig vernachlässigt wurde.
Es geschehen Wunder: da es nachweislich die einzige Vorbereitungsaktion blieb und ich 3 Wochen vorm Turnier gar kein Schachbrett gesehen habe, wäre zwar weniger das Ergebnis, sondern vor allem die taktische Einstellung nur dadurch zu erklären… Nur die innere Frage („ … soll ich das wirklich wieder regelmäßig…“ ) bleibt unbeantwortet.

Die Schnellschachmeisterschaften dieses Jahres waren an die Schachfreunde aus Bad Lautenberg vergeben. Diese Stadt hatte in 70-ern sogar eine finale Europacup-Veranstaltung empfangen. Die für alle im Spielsaal ausgestellten Fotos zeigten den jungen Karpov, Hübner und weitere Weltstars von einst.
Viel hat sich seitdem nicht geändert. Manch ein Turm am und neben dem Brett sah ganz schön rustikal aus. Es gab öfters „kleine Pannen“, auf die gelassen reagiert wurde... was solls... Die Veranstaltung war allemal durch herzliche Freundlichkeit des Empfanges und Spätsommerwetter gerettet. Insbesondere kann der reizende Kurpark in Bad Lautenberg gewisse Konkurrenz dem großen Bad Homburger Bruder machen.
Die technischen Männerergebnisse können folgender (zur Abwechselung Frauenschach-) Webseite entnommen werden: http://www.schachbund.de/intern/referate/frauenschach/sem_2007_tab.html

Dies ist keine Panne, sondern eine kleine Krönung… allerdings nochmals überkrönt durch die Tatsache, dass die Tabelle auch eine Woche nach der Veranstaltung immer noch falsch platziert ist.

Mich persönlich haben 3 Spieler positiv beeindruckt:
- der souveräne Sieger IM Podzielny, zwar für seine Blitz- und Schnellschachkünste älterer Generationen landesweit bekannt, aber immerhin beinahe der älteste im Teilnehmerfeld, beendete das Turnier mit der weißen Weste (+7=4). Man bedenke zusätzlich, dass keine seiner Remispartien wirklich gespielt wurde. Sprich, dieser Mann „kann mehr“ . Das Geheimnis der Siegesleichtigkeit ist bei sehr hoher Technik zu suchen, welche ihrerseits von dem bestem Freund, der Begabung für die Kleintaktik, begleitet wird;
- der junge Tobias Hirneise (17) mit immerhin 2293 Punkten ELO. Nicht nur das Unentschieden gegen mich und IM Haub, sondern vielmehr die routinierte, na fast professionelle Spielweise und -verhalten lassen mich behaupten, dass Tobias in absehbaren Zeitraum IM wird. Sogar die GM-Ebene halte ich für ihn für möglich, sollte die „äußeren“ Bedingungen stimmen.
- der älteste Teilnehmer FM Manfred Böhnisch aus Leipzig. Hier sprechen wiederum nicht nur eigene Erfahrungen (meine Niederlage durch sein Damenopfer, s.u.). Dieser Schachfreund verdient hohen Respekt für seinen kreativen und kämpferischen Stil - konträr zu eher vorsichtiger Tendenz im Seniorenschach. Dies führte ihn zum 9. Platz! (Böhnisch – Margolin)

Die zweit- (IM Haub) und drittplazierten (FM Muranyi) zeichneten sich durch konstante Leistung an beiden Tagen aus und waren immer an vorderen Brettern zu finden. Die Belegung der Plätze 4 bis 6 (IM Heinemann, der Autor sowie FM Schwalfenberg) entschied sich dagegen in den letzten Minuten: Markgraf-Margolin

Von Anfang an habe ich an meiner nicht ausreichenden Schnelligkeit gelitten. Folgende Partie wurde unter Zeitmangel verdorben:
Asendorf, Dr. - Margolin

Am Ende habe ich die Konsequenzen gezogen (die Schale also wichtiger als die Nuss und konnte durch 3/3 mich in der Tabelle noch deutlich verbessern. Der beste Zug ereignete sich doch gleich in der Runde 1: Koch-Margolin

Das ausgeglichene Teilnehmerfeld sorgte für den Absturz einiger potenzieller Favoriten wie IM Boidman oder IM Womacka. Unter seiner Spielstärke agierte auch IM Stefan Reschke, der sich allerdings schon vorm Turnier krank fühlte.

Die Vereinsseite ist sicherlich keine Tribüne für Verbesserungsvorschläge auf Bundesebene. Jedoch wäre an der Stelle anzumerken, dass die Regelungen für die BRD-Meisterschaften im Blitz- und Schnellschach für mich unbegreiflich sind. Für ALLE GM’s (sei es Hübner oder Naidich) gibt es völlig unzumutbare Regelungen, sich bereits auf Bundeslandebene zu qualifizieren. Dies kann nur eine Auswirkung haben, nämlich dass die Großmeister von jenen Turnieren fern bleiben.

Warum kein Schachfest veranstalten, z.B. bestehend aus eingeladenen GM’s, Übertragung der ersten Brettern im Internet und ja, nennenswerten (und nicht 500 Euro für den Deutschen Meister) Geldpreisen, von Journalisten und TV ganz geschweige? Stattdessen wird die amateurhafte Einstellung in Organisationsfragen geradezu gefeiert.
Der eigenen Erfahrung und Gerüchten nach, hat das schon mal spürbar besser funktioniert, z.B. vor ca. 6 Jahren in Münster. Die übliche Argumentation „kein Geld wäre da“, kann man nur mit dem Appell beantworten: „Überprüft bitte, was woanders falsch investiert war“.
Respekt seitens des Schachbundes auch zu eigenen „kleinen“ (Blitz- und Schnellschach-) Meisterschaften könnte dem Schachleben in Deutschland nur gut tun. Die überaus positive Erfahrung mit den BRD Meisterschaften im klassischen Schach der letzten Jahre spricht bereits für sich.

Die genannten Partien können unter http://www.sv-oberursel.de/partien/ nachgespielt werden.
 

Kommentare

Datum: 1.10.2007 - 12:19 Uhr
Name: Thomas Falk

Danke, Boris, für den informativen Bericht und die
interessanten Partien. Der 5. Platz ist ein schöner Erfolg!
 

Datum: 12.04.2008 - 15:22 Uhr
Name: Boris

Heute ist der 12.04.2008 und der erwähnte T.Hirneise hat bereits 2382...
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