Ein modernes Märchen

von Wolfram Schneider, 12.12.2015

Eine Nachbetrachtung
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Niemand braucht uns das glauben, Aronjan wäre in unseren Club gekommen, um just for fun an einem gewöhnlichen Blitzturnier gegen Jedermann, im Schachjargon Patzer genannt, zu spielen. Wäre ja auch zu schön!

Ich habe schon ganz andere Meister erlebt. Damals erfreute ich mich einmal der Gastfreundschaft bei einem Open in Südfrankreich. Nur dass der jugendliche Sohn der Familie IM war und mich um Verständnis bat, dass er niemals gegen Patzer spiele. Normal, oder

Vielleicht war es aber gar nicht wirklich, sondern nur ein Traum. Der sich wie in C.S. Lewis "Chroniken von Narnia" ereignete und ihr betratet den Saal der Stadthalle wie durch eine verborgene Schranktür, Dann fandet ihr euch wieder in einer kalten, durch und durch verschneiten Winterlandschaft. Und nun ist es kein Wunder mehr, dass ein Schachmeister Euch in einer Eishöhle, doch freundlich wie ein Jedermann und fern jeder Allüren gegenübertritt und Euch zu einer Blitzpartie auffordert.

Doch es ist kein Märchen, sondern Wirklichkeit. Es ist November, warm wie selten zu dieser Zeit. Es liegt kein Schnee, die Stadthalle ist gemütlich warm. Ja, es ist Wirklichkeit und trotzdem ein klein wenig surreal. Um es noch einmal nachzuerleben, gibt es diesen Artikel.



Melkumyan und Aronjan beim Einblitzen - Marc Nichols und Alexander Haucke als Kiebitze

Ein kleines Fenster im Kalender zwischen Reikjavik und den London Chess Classics ermöglicht das. (Chess Classics - erinnert das Euch nicht auch an ein anderes Märchen?). Von Island kam er zu uns, diesmal in Begleitung seines armenischen Freundes Melkumjan. Beide hatten ihre frischen Silbermedaillen im Gepäck, die sie bei der Mannschafts-Europameisterschaft errungen hatten : Silber mit der Mannschaft und ihre Einzelmedaillen - Melkumjan Gold am 4. Brett und Aronjan Silber am 1. Brett

In der Tat ist Aronjan nicht nur ein ungewöhnlich starker Spieler, sondern eine Seltenheit, was den ihm völlig fehlenden Dünkel betrifft. Er scheint nicht nur freundlich und zugänglich, er ist es tatsächlich. Man kann sich mit ihm ganz normal unterhalten.

Eine nettes Gespräch ergab sich dabei zwischen Levon und Jan Götz (Bild oben) vom Nachbarverein Bad Homburg, wie es die dortige Homepage vermeldet:

(Zitat Anfang). "Der freundlich auftretende WM-Kandidat hatte stets nette Worte auf den Lippen und kein Problem, sich unter die Leute zu mischen. Natürlich gewann er auch das Turnier souverän, aber das war nicht wichtig. -

Jan [Goetz] fragt Levon: "Is it still fun to play chess here against us?" -
Levon antwortet: "Yes!", (kurze Denkpause), You can play creative without getting punished.", (lacht)." (Zitat Ende)

Frei übersetzt: Macht es überhaupt Spaß gegen uns? Ja, man was Ungewöhnliches wagen, ohne gleich bestraft zu werden.
Berichtet hat dies Walter Schmidt auf der Homepage vom SK Bad Homburg. Er spiele sich übrigens souverän in die Riege der Top Ten wo, sich fast nur Titelträger platzierten

Zwei offenbar schwierige Stellungen zweier umgänglicher Typen - Aronjan gegen Walter Schmidt

Hier noch ein paar Bilder, die ein Schlaglicht werfen sollen. Auf das eine oder andere Ergebnis mögen Sie hinweisen, ohne dass das Sportliche zu wichtig genommen werden sollte.

Gens una sumus - 1 x Polen mit IM Jacek Dubiel (Oberursel) und 3 x Armenien mit GM Sergej Galdunts, GM Levon Aronjan und GM Hrant Melkumyan

FM Robert Schlamp - Nur unserem Robert gelang ein Remis - Bravo. Alle anderen spielten und verloren.

Thomas Schlapp (SG Kaiserslautern) war der Bestplatzierte ohne Titel - Ein hervorstechender 5. Platz

Noch jemand, der durch sein beherztes Spiel auffiel: Frank Drill wurde mit dem 7. Platz belohnt. Er spielte weit über seinem Rating. Gäbe es einen Preis hierfür, ginge er an ihn. Aber letztlich wurde jeder an diesem Abend auf seine Weise beloht - mit dem Erlebnis und der Erinnerung daran.

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